Nachhaltig und kostengünstig bauen - Portrait des Architekten Thorsten Blatter
„Die Wohnungen sind flexibel für Wohngemeinschaften, aber auch Familien. Sie haben einen großzügigen Wohnbereich und einen kompakten Privatbereich."
Offenheit für andere Kulturen
Die badische Herkunft schwingt bei Thorsten Blatter noch leicht durch, obwohl er schon seit 20 Jahren in Stuttgart lebt. Er ist in Wehr an der Schweizer Grenze aufgewachsen, einer Stadt, die durch die Weck-Gläser bekannt wurde. Schon von frühester Kindheit an hat er die Offenheit für andere Kulturen erlebt. Ein Thema, das ihn auch in seinem Alltag als Architekt umtreibt.
Mitten im Stuttgarter Westen hat sein Architekturbüro das Erdgeschoss einer alten Lagerhalle entkernt und mit Holzeinbauten neu gestaltet. Holz – das wird schnell klar – ist ein weiteres Herzensthema. In seinem Büro arbeiten 24 Architekten. Damit sie sich wohlfühlen, haben Schreiner helles Fachwerk über die Arbeitsflächen gebaut. Das Ganze hat etwas von Scheune und Open Workspace mit vielen Durchblicken.
Blatter liebt offene Flächen und Rückzugsorte. Das Gespräch führt er in einer Kommunikationsbox, um die Kollegen nicht zu stören. Stolz erzählt der 47-jährige Planer, dass sein Unternehmen mit dem „Best Workspace Award“ ausgezeichnet wurde. „Die Einbaumöbel sind alle aus Seekiefer, was eine tolle, lebendige und expressive Holzoberfläche ist.“
Nach seinem Studium hat er in Berlin gearbeitet. Dann neben der Gründung des interdisziplinären Büros parallel als Dozent sechs Jahre „Wohnen und Entwerfen“ an der Universität in Stuttgart unterrichtet. 2015 kam eine Anfrage der Hoffnungsträger Stiftung, ein Konzept für integratives Wohnen zu entwickeln. „Mich hat der Ansatz begeistert, dass Geflüchtete und Einheimische ganz natürlich in einer Mietergemeinschaft wohnen.“
Natürliche Berührungspunkte im Alltag
Thorsten Blatter steht auf und zeigt einige Projektfotos: „Wir haben für Hoffnungshäuser viele Kommunikationsbereiche entwickelt, damit es ganz selbstverständliche Berührungspunkte im Alltag gibt.“ Er demonstriert, wie wichtig die geschwungenen Balkone sind, die sich über die komplette Längsseite des Geschossbaus hinziehen.„Auch das Treppenhaus hat Zugang zu den gemeinsamen Balkonen. Jeder Bewohner kann entscheiden, wie viel Privatheit und Gemeinschaft er will.“
Bislang hat Blatters Team „andOFFICE“ 40 Mehrfamilienhäuser für die ht Projektentwickler gebaut. „Die Wohnungen sind flexibel für Wohngemeinschaften, aber auch Familien. Sie haben einen großzügigen Wohnbereich und einen kompakten Privatbereich. Zudem sehr wenig Verkehrsflächen.“ Um den Engpass beim Geflüchtetenwohnen zu lösen, hat er mit seinem Team verschiedene Wohntypen entwickelt. „Sie reichen von der Sammelunterkunft bis zur individuellen Wohnung. Dabei kann jede Kommune ihre Vorstellungen und auch die Grundrisse vorgeben.“
Blatter geht zu einer silbernen Siebträgermaschine, die offensichtlich vom ganzen Büro geschätzt wird. Darunter stehen goldene Säcke mit dem aktuellen Lieblingskaffee Drago Mocambo Grand Bar, der frisch gemahlen wird. Doch um Kaffee geht es ihm nicht, sondern um die Robustheit der Oberflächen. „Die Nutzung einer Wohnung für Geflüchtete ist intensiver als klassisches Mietwohnen“, erklärt er. „Deshalb setzen wir auf robuste Materialien, die der größeren Beanspruchung gewachsen sind.“ Er zeigt auf die unverkleideten Holzplatten: „Holz hat nicht nur sehr gute Eigenschaften bei der Konstruktion, sondern verbessert auch das Wohnklima. Wir wollen den CO2-Fußabdruck so gering wie möglich halten, deshalb denken immer auch an eine Nachnutzung.“
Nachhaltig und kostengünstig bauen
Für das bezahlbare Wohnen empfiehlt Thorsten Blatter „ehrliche Oberflächen, wie Massivholzdecken, die man nicht lackieren oder streichen muss.“ Gleichzeitig versucht er, Verbundstoffe zu vermeiden, um das Gebäude sortenrein wieder auseinandernehmen zu können. Dazu zählt auch der Trockenestrich, den er nach Möglichkeit statt des Fließestrichs verwendet. Anstatt eines zusätzlichen Bodenbelags reicht es nach Blatters Erfahrung aus, den Estrich zu versiegeln. Auch das spare Energie und Kosten. Sein Credo: „Warum setzen viele Bauherren auf monotone Farbflächen, statt die Schönheit und Wertigkeit des Holzes zu zeigen?“
Aus der Idee des Hoffnungsträgers ist bezahlbares Wohnen der unterschiedlichsten Art entstanden. Blatter betont, dass zu jedem Campus mit mehreren Gebäuden immer auch ein Gemeinschaftsaum dazugehört. „Das ist ein ganz entscheidender Punkt für eine lebendige Nachbarschaft. Darüber hinaus hat der Gemeinschaftsraum noch einen weiteren Vorteil: Nicht jeder braucht ein riesiges Wohnzimmer, um seinen Geburtstag zu feiern, sondern kann diesen Raummieten.“ Dazu gehört auch eine große Küche für Bewohner, die gerne für andere kochen.
Auch in Öhringen entsteht aktuell ein Campus mit 22 Wohnungen, in denen künftig 80 Bewohner leben werden – die Hälfte sind Deutsche, die andere Hälfte Migranten. „Als Architekt machen wir keinen Unterschied zwischen Geflüchtetenwohnen und sozialem Wohnraum, weil immer der Mensch im Mittelpunkt steht.“ Damit der Zeitplan bis zur Eröffnung im Herbst eingehalten werden kann, setzt das Team von Thorsten Blatter auf Vorfertigung: „Wir planen vor der Umsetzung schon jedes Detail. Es gibt an der Baustelle keine Überraschungen, die die Kosten erhöhen könnten. “Er zeigt einige Fotos aus der Produktion: „Durch die serielle Fertigung können wir die Kostenentwicklung gut nachvollziehen. Das ist ein Riesenvorteil angesichts steigender Baupreise.“
Wie bei den Hoffnungshäusern werden auch soziale Wohnbauten mit einer modernen Holzfassade gebaut, die über die Jahre Patina ansetzen. „Aus diesem Grund passt auch im Inneren die lebende Holzoberfläche“, erklärt Blatter. „Das schafft eine extrem starke Ausstrahlung der Gebäude und eine emotionale Berührung.“ Das Stuttgarter Architektenteam baut für die ht Projektentwickler nicht primär funktionale Wohngebäude. „Im Gegenteil, man spürt, dass die Häuser ganzheitlich gedacht sind und perfekt ineinandergreifen.“